Christo lässt Wunder geschehen

Bekanntlich ist es bisher nur einem Menschen gelungen, übers zu gehen, und dieses Wunder geschah vor 2000 Jahren. Jetzt ist es allen möglich, dieses Wunder zu erleben und trockenen Fußes über dem Wasser zu wandeln, denn Christo ist wieder da. Wer übers Wasser wandeln will, muss allerdings nach Italien, genauer gesagt an den norditalienischen Iseo-See, denn dort hat der umstrittene Künstler seine „Floating Piers“ installiert und damit wieder ein Kunstwerk geschaffen, an dem sich die Geister scheiden.

Ungewöhnliche Kunst

Kunst ist immer auch eine Geschmacksfrage und das macht Kunst so interessant. Es gibt zu einem Kunstwerk immer unterschiedliche Meinungen und wahre Kunst sollte immer leidenschaftlich diskutiert werden. Christos Kunstwerke boten bisher immer reichlich Gesprächsstoff, denn die einen bejubelten die zuweilen etwas skurrilen Ideen des Künstlers, die anderen konnten dagegen nur mit dem Kopf schütteln. 1995 sorgten der Künstler und seine Frau Jeanne-Claude für Aufsehen, als sie den Reichstag verhüllten und auch das Projekt „The Gates“ in New York 2005 und „Surrounded Island“ in Florida 1983 beschwerte Christo internationale Aufmerksamkeit. Nach dem Tod von Jeanne-Claude wurde es still um den Künstler, der in Bulgarien geboren wurde, jetzt macht er wieder von sich reden.

Die schwimmenden Stege

Christo und sein bewährtes Team haben einige Monate gebraucht, um insgesamt 220.000 Würfel aus Kunststoff für die schwimmenden Stege zusammen zu schrauben. Die Würfel wurden in Münster nach den Plänen des Künstlers gebaut und in Lübeck mit gelbem Polyamidgewebe überzogen, denn so ganz ohne Verhüllung geht es bei Christo einfach nicht. Auch die Wahl der Farbe wurde nicht dem Zufall überlassen, denn es handelt sich nicht nur um ein schnödes Gelb, Christo wollte und bekam ein zartes Dahliengelb. Die zusammengeschraubten Stege schaukeln nicht auf dem Wasser, sie passen sich vielmehr der Bewegung des Wassers an. Um die 190 Tonnen schweren Anker auf dem Boden des italienischen Sees zu befestigen, mussten Taucher in die Tiefe steigen. Auf diese Weise verbinden die schwimmenden Stege die Insel Monte Isola und die kleine Insel Sao Paolo miteinander und jeder, der von einer zur anderen Insel will, kann das tun, ohne ein Bad im See nehmen zu müssen.

Großes Interesse

Das Kunstobjekt „Floating Piers“ ist noch bis zum 3. Juli 2016 zu sehen und bis dahin wird mit einer halben Million Besucher gerechnet. Wer noch ein Zimmer in einem der Hotels in der Nähe buchen will, hat Pech, denn die sind seit Monaten ausgebucht. Der Künstler selbst empfiehlt den Besuchern, die Schuhe auszuziehen und barfuß über die Stege zu gehen, denn es ist ein sehr aufregendes Gefühl, zu spüren, wie sich die Wellen unter der schimmernden Oberfläche der Würfel bewegen. Schon jetzt ist der kleine beschauliche Ort am Iseo-See ein wahres Mekka für Kunstfreunde aus aller Welt und selbst aus dem fernen Australien kommen die Christo Fans nach Italien, um einmal auf den 16 m breiten und drei Kilometer langen „Floating Piers“ zu gehen.

Das letzte große Kunstwerk?

Seit seinem sechsten Lebensjahr beschäftigt sich Christo mit Kunst oder besser gesagt, die Kunst beschäftigt ihn. Schon als Kind war der als Wladimir Jawaschew geborene Künstler von großen Stoffbahnen fasziniert und zeichnete sie mit wachsendem Eifer. Nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte er die Akademie der Künste in Sofia, später ging er nach Wien, Genf und Paris. Um zu überleben, malte er Porträts, aber seine Leidenschaft galt dem Verhüllen. Christo verhüllte alles, was ihm unter die Finger kam, Dosen ebenso wie Flaschen, Stühle und schließlich ein Auto. Mit Jeanne-Claude, die am gleichen Tag und im gleichen Jahr geboren wurde, fand er eine Seelenverwandte, ob der heute 81-jährige ohne seine geliebte Frau noch einmal ein so spektakuläres Kunstwerk auf die Beine stellt, ist jedoch fraglich.

Bild: © Depositphotos.com / moprand

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Ulrike Dietz